Zur Geschichte von Scharfrichterei und Abdeckerei in Pretzsch/ Elbe |
Auch das von der Einwohnerzahl her nur kleine Pretzsch, in dem Mitte des 16. JH ein Renaissanceschloss durch den Erbmarschall Hans Löser errichtet wurde, hatte einst eine Scharfrichterei und Abdeckerei, die eine mehrhundertjährige Geschichte aufweisen kann.
Der Scharfrichter, ein heute nicht mehr in Deutschland existenter Beruf, gehörte einst zum Alltag.
Seine Blütezeit lag im 16. bis 18. Jahrhundert. In fast jeder Stadt in Mitteldeutschland gab es einen Scharfrichter, dem gleichzeitig eine oder mehrere Abdeckereien gehörten.Aus diesen zog er seinen Hauptgewinn, indem er mit weiterzuverarbeitenden Produkten meist gute Geschäfte machte. |
Aufgabe des Scharfrichters war es, die von den Gerichten gesprochenen Urteile über Leib und Leben auszuführen und die Delinquenten vorher mittels Folter zu einem Geständnis zu bringen.
Der Scharfrichter hatte sich im Leben einiges erwirtschaftet, hatte Grundbesitz und ein gutes Auskommen.
Hier in Pretzsch handelte es sich jedoch zuerst nicht um eine städtische Einrichtung. Wohl im Laufe des 16. Jahrhunderts wurde sie von der Schlossherrschaft eingerichtet, zunächst als Abdeckerei, auch Feldmeisterei genannt. Diese hatte die Aufgabe, das in Pretzsch und Umgebung anfallende verendete Vieh einzusammeln, zu entsorgen und Verwertbares weiter der Verwendung zuzuführen. Erst später gehörte die Abdeckerei zum Zuständigkeitsbereich des Scharfrichters, der daraus meist seine Haupteinnahmequelle bezog.
In der Publikation „Pretzsch/Elbe, Geschichte – Menschen – Bilder“ wurde eine vom Ende des
17. Jahrhunderts stammende Zeichnung veröffentlicht, auf der hinter dem Wirtschaftshof des Schlosses deutlich die Gebäude der „Meisterei“, sowie der „Schinder Heger“
(Schinderacker/Schinderwiese) unweit der Elbe zu erkennen sind.
In dieser Zeit residierte auf dem Pretzscher Renaissanceschloss Christiane Eberhardine, Gemahlin von Kurfürst Friedrich August I. von Sachsen, genannt August der Starke.
Anlässlich der Geburt des gemeinsamen Sohnes Friedrich August übertrug 1696 Friedrich August I. seiner Ehefrau Christiane Eberhardine Schloß Pretzsch: …zu völliger Nutzung auf Ihrer Liebden Lebenszeit, jedoch ohne fernere Folgerungen, aus sonderbarer zu derselben tragenden guten Affektion und Liebe.“
Die sächsische Kurfürstin Christiane Eberhardine wollte, wie in vielen Fürstenhäusern damals üblich, mit Unterstützung des Landesbaumeisters Daniel Matthäus Pöppelmann, nach der neuesten französischen Gartenbaumode einen barocken Lustgarten anlegen.
Zu diesem Zweck musste der alte Wirtschaftshof mit seinen umliegenden Flächen nördlich des Schlosses umgesiedelt werden.
Der sächsische Kurfürst kaufte von Pretzscher Bauern Ackerflächen, die sich westlich, damals außerhalb der Stadt, befanden. So wurde Anfang des 18. Jahrhunderts das kurfürstliche Vorwerk „Neu Pretzsch“, später „preußische Domäne“, angelegt.
Auch für die Scharfrichterei musste ein neuer Standort gefunden werden.
Man fand eine Fläche, außerhalb der Stadt, in Richtung dem heutigen Bad Schmiedeberg in der Nähe der Neumühle. Hier gab es eine Quelle die einen kleinen Bach speiste. Fließendes Wasser war für eine Scharfrichterei und das damit verbundene Schinderhandwerk wichtig. Die beiden Vorwerke Körbin und Neu Pretzsch befanden sich in der Nähe, so dass die Kadaver in der Schinderei auf kurzem Wege entsorgt werden konnten.
Auf dem ehemaligem Grundstück des Scharfrichters sehen wir heute nur noch Reste des Kiesabbaus, davor ein Wäldchen mit dem Flurstück „Schinderfichten“. Das Betonwerk Winkler hatte hier großflächig Kies seit 1926 abgebaut.
Die Gerichtsbarkeit unter dem Geschlecht der Löser (1325 bis 1647)
Sie hatte neben anderen verbrieften Rechten auch die Hohe Gerichtsbarkeit über Pretzsch und die dazugehörigen Dörfer inne (Patrimonialgerichtsbarkeit). Die Strafen des Mittelalters waren wesentlich strenger als unsere heutigen. Das in Deutschland gültige Strafgesetzbuch Kaiser Karls V. von 1532 (Carolina) bestimmte für den eines schweren Diebstahls Überführten den Tod durch den Strang, für den Ehebrecher Tod durchs Schwert, der Mörder wurde gerädert. So sind in der Zeit von 1580 – 1630 eine ganze Reihe Verbrecher wegen ähnlicher Vergehen hier hingerichtet worden.
Pretzscher Chronisten berichten, dass dort die gesamte Skala möglicher Bestrafungen angewandt worden ist. Das Schuldbekenntnis wurde im Gefängnisturm, der sich im Schlosse befunden haben muss, mit Folterwerkzeugen erpresst.
Bis in die Zeit des 30jährigen Krieges lieh man sich in Pretzsch dafür auswärtige Scharfrichter, meist aus Torgau oder Wittenberg. Spätestens in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts belehnte die Herrschaft einen eigenen Pretzscher Scharfrichter.
Aus der Chronik von Tepohl
Aktenstück unter dem Geschlecht des Lösers, die 300 Jahre auf Schloss Pretzsch residierten.
um 1605 eod.a. ist ein Schiffsmüller, Namens Andreas Zschepe, welcher das Dorf Malitzsch anzustecken gedacht, nachdem er 5 Wochen in Dahlenberg gefangen gesessen, bey Proschwitz mit dem Strange gerichtet, bald darauf aber vom Schinder aus Pretzsch für 1 Thaler. unter dem Galgen begraben worden. Leipnitzer Gerichtssache unter Wilhelm Löser.
1608 den 1 Sept. ist George Schuhmann der Hüfner Keuler (Schlachter) von Urban Peuster dem Lämmerknecht in Körbin auf den Pretzscher Feldern unweit Merschwitz so geschlagen worden, daß er den anderen Tag verstorben, weil dieser zur Ungebühr gehütet und jener ihn pfänden wollen. Peuster hat sich sogleich durch die Flucht der verdienten Strafe entzogen.
In diesem Aktenstück erkennen wir, dass die Scharfrichterei hinter dem jetzigen, damals aber noch nicht existentem Schlossgarten gestanden hat; daher noch die Benennung des Platzes: Schinderheger.
So wechselvoll die Pretzscher Geschichte im 18. Jahrhundert war, so häufig fanden auch personelle Veränderungen in der Scharfrichterei statt. Vielleicht deutet diese u.a. auch darauf hin, dass das 1689 gegründete Amt Pretzsch jetzt Eigentümer der Scharfrichterei war und diese auf jeweils mehrere Jahre verpachtete.
Scharfrichter in Pretzsch
um 1584 Schmidt, Simon Abdecker
Er wollte sich durch Einheiraten eine Existenz in Pretzsch schaffen.
um 1650 Schmidt, Georg Scharfrichter
Er war wohl der erste, bedingt durch die 1651 beurkundete Stadtgerechtsame von dem
sächsischen Oberst Wolf Christoph von Arnim belehnte Scharfrichter für Pretzsch.
um 1658 Hahn, Caspar, Scharfrichter und Feldmeister
In seiner Amtszeit (bis um 1673) hatte Pretzsch schon viel von den Folgen des 30jährigen Krieges überwunden.
um 1681 Gleißenberg, Hans Christoph, Scharfrichter und Feldmeister
Als Sohn eines Scharfrichters heiratete er in Pretzsch die Tochter des Scharfrichters Caspar
Hahn. Wahrscheinlich war er zunächst Gehilfe seines Schwiegervaters.
um 1684/1693 Brandt, Moritz, Scharf- und Nachrichter, Feldmeister
Moritz Brandt wurde 1693 in Pretzsch mit einer Abdankung christlich begraben. um 1690 Kauffmann, Christian Christoph George
um 1704/14 Reinknecht, J. Gottfried, Scharfrichter, Feldmeister
Diese Zeit brachte für die Pretzscher Scharfrichterei eine nennenswerte Veränderung. Die Meisterei wurde von ihrem ehemaligen Standort beim Wirtschaftshof des Schlosses an einen Platz nahe der Straße nach Schmiedeberg verlegt.
um 1733 Martini, Johann Gottlob
Er ist ein Sohn des Scharfrichters Johann Christoph Martini aus Torgau und ein Bruder des
Gottfried Conrad Martini (siehe unten)
um 1742 Jeck, Johann Erhard ???
um 1742/48 Reinknecht, Johann Gottlob (geb. 1712)
um 1754 Martini, Elias Benjamin (Heirat 1754 in Torgau mit Johanne Elisabeth Grube aus Sachau)
um 1756 Martini, Gottfried Conrad, ansässiger Bürger und Einwohner von Pretzsch
um 1756 Martini, Johann Christoph, Scharfrichter zweiter Klasse Pretzscher Feldmeister, Sohn des
Torgauer Scharfrichters heiratete die Tochter des Königlichen Amtsinspektor und Commissions- Rath, Gotthardt Demisch. Wohl war das, auch zu der Zeit, etwas Unerhörtes.
um 1768 Reinknecht, Christian Gottlob (Er ging später nach Schweinitz)
um 1771 Wittig, Johann Michael Jakob (da er Nov. 1771 in Schweinitz eine geborene Reinknecht heiratete, könnten Kinder in Pretzsch geboren sein)
um 1774 Reinknecht, Johann Gottlob, nach verschiedenen anderen Stationen (u. a.Herzberg, Baruth) kehrte er im Alter nach Pretzsch zurück.
um 1777/1800 Polster, Georg Gotthelf, Bürger, Scharfrichter und Nachrichter, Einwohner und Bürger allhier
um 1780 Stahl, J. Michael (geb. 1736)
um 1800 Stahl, Jakob (geb.1773)
um 1805/09 Träger, Johann Friedrich (Familie mit 5 Personen). Er war mit einer geborenen
Reinknecht verheiratet. Das Ehepaar Träger war April 1805 und Dezember 1807 Pate in Belzig in der Scharfrichterfamilie Schlegel.
um 1834 Große, Johann Friedrich Gotthard (1795-1864) Scharfrichtereibesitzer in Wittenberg
um 1840 Ulrich, Friedrich Karl (geb.1800)
um 1850 Müller, Friedrich Karl (geb. 1806)
um 1888 Wend, J. (er besaß 2 Pferde, aus Viehzählung in Pretzsch 1888)
1901 baute Walter Klein eine kleine Produktionsstätte für Betonwaren Richtung Bad Schmiedeberg, in der Nähe der Neumühle.
1906 war er beteiligt an der Stammkapitalbildung für das Eisenmoorbad in Pretzsch, das 1909 eröffnet wurde.
1926 wurde dieses Werk als Baugeschäft und Zementsteinwerk an den Bauunternehmer Erich Winkler verkauft und weiter ausgebaut. Die Herstellung umfasste Zementdoppelfalzziegel, Mauersteine, Dübelsteine, Hohlblocksteine, Zaunpfosten, Fußbodenfliesen, Zement, Zementkalk, Weißkalk und Gips.
1914 Klein, Walter, Abdecker in Pretzsch
Er war Mitglied des Vereins Königlicher Preußischer privilegierter Abdeckereibesitzer und entstammt einer weitverbreitenden Scharfrichter- und Abdeckerfamilie.
Klein kaufte in Wittenberg ein Grundstück im Osten der Stadt, ehemalige Berliner Chaussee.
Betriebsleiter war W. Hoffmann. Klein nannte die Firma Kadaver-Vernichtungs-Anstalt
und Fleischfabrik.
Dazu diese Annonce aus dem Wittenberger Tagesblatt von 1914:
Um die Abdeckerei in Wittenberg zu sichern, erwarb der Abdeckereibesitzer Walter Klein aus Pretzsch (Elbe) von dem Landwirt Herman Rochschen, Eheleuten in Wittenberg Schulstraße 15, den in der Gemarkung Bruderannersdorf an der Berliner Chaussee, neben der Baumschule belegten Plan Nr. 14 von16 ar Größe, käuflich, um dort eine Tierkadaververwertungsanstalt zu erbauen. Er begann mit der Errichtung der dazu notwendigen Gebäude, einschließlich Futtermittelfabrik.
1938 Als Fabrikbesitzer hatte Walter Klein seine Privatwohnung in der Berliner Straße in Wittenberg während in der Abdeckerei ein Mieter wohnte.
Bei den Pretzscher Scharfrichtern des 18. Jahrhunderts fällt auf, dass trotz häufigen Wechsels Angehörige der Familien Martini und Reinknecht sehr oft wirkten. Hatte eine von ihnen vielleicht ein erbliches Privileg und setzte zeitweise ihre Verwandten ein? Die enge verwandtschaftliche Beziehung dieser Familien ist in den Kirchenbüchern jedenfalls dokumentiert.
Allgemein ist anzumerken, dass sich im 18. Jahrhundert im Beruf des Scharfrichters eine Wandlung vollzog.
Todesstrafen gingen zahlenmäßig zurück. Auch die Folter als Mittel zum Geständnis wurde 1740 vom Preußenkönig Friedrich II teilweise, später gänzlich abgeschafft, woran sich über kurz oder lang alle deutschen Länder orientierten. Für Scharfrichter und ihre Söhne bedeutete dies später berufliche Umorientierung oder verstärkte Konzentration auf das einträgliche Abdeckergeschäft.
Ein großes Dankeschön gilt Diplom-Bibliothekarin Frau Dr. Ilse Schumann aus Kleinmachnow.
Seit mehr als 50 Jahren beschäftigt sie sich mit der Geschichte der Scharfrichtereien und Abdeckereien und veröffentlichte ihre Forschungen in zahlreichen Artikeln.
Sie machte mich in einem Telefongespräch darauf aufmerksam, dass sich in dem Buch Pretzsch-Elbe „Geschichte-Menschen-Bilder“, das ich 2006 herausgegeben habe, eine Skizze aus dem Jahr 1689 befindet, die unter anderem die Anlage des alten Wirtschaftshofes nördlich des Schlosses mit „Meisterei“ und „Schinder-Heger“ enthält. Scharfrichter in Pretzsch wurde in der umfangreichen Pretzscher Chronik nicht erwähnt.
Ich bin Frau Dr. Ilse Schumann sehr dankbar, dass sie ihre umfangreichen Forschungsergebnisse uns zur Verfügung gestellt hat und damit eine Lücke in der Pretzscher Chronik füllte.
Erhard Dubrau |
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